Seit fünf Jahren hat sich die Persönlichkeit von Walter Jens durch seine Demenzerkrankung so stark verändert, dass er zu einem anderen Menschen geworden ist. Er schläft den ganzen Vormittag. Der inzwischen 86-jährige Gelehrte kann keinen vernünftigen Satz mehr formulieren. Er weiß so gut wie gar nichts mehr. Weder von sich und von seinem Lebenswerk noch seine Besucher. Doch am schlimmsten wird es wohl sein, dass inzwischen auch nicht mehr seine eigene Frau, Inge Jens, mit der er seit 57 Jahren verheiratet ist, erkennt. "Er ist nicht mehr mein Mann", sagt seine Frau. "Er ist in einer Welt, zu der ich wenig oder gar keinen Zugang habe.", sagt Sie in einem Interview im Stern. "Ich bin jemand, der seinen Partner verloren hat. Den Mann, den ich liebte, gibt es nicht mehr." Dass Walter Jens wahllos Bücher aus dem Regal zieht, und sie dann verkehrt herum zu lesen versucht, ist eines der vielen Beispiele, die seine geistige Verwirrtheit demonstrieren. Wenn man bedenkt, dass er ab und zu aggressiv ist, weil er nicht mehr weiß, was er denn eigentlich tut, wird einem klar, warum seine Frau ihrem kranken Mann einen sanften Tod wünscht, um ihn weiterhin in guter Erinnerung zu behalten. "Ich bete, dass er eines Morgens einfach nicht mehr aufwacht. Wenn ich einen Wunsch äußern darf, dann den, dass er an einem Infarkt, einem Schlag, was immer es ist, schnell sterben mag, ohne es groß zu merken." Sie weiß natürlich auch, wie er darüber vor seiner schweren Erkrankung darüber gedacht hat. Walter Jens hat sich intensiv mit der Frage des Sterbens in Würde auseinandergesetzt. In dem mit dem Theologieprofessor Hans Küng geschriebenem Buch "Menschenwürdig sterben" plädierte er für die aktive Sterbehilfe. Wohl wissend, dass ein Mensch, der sich nicht mehr unter Kontrolle hat, für andere immer eine Gefahr und Belastung darstellt. Das Leben in einem intellektuell überbetonten Ambiente hat aus Walter Jens einen Literaten gemacht, der den Besitz der geistigen Kräfte vielleicht überbetont hat. Walter Jens war der Meinung, dass der Besitz der geistigen Kräfte ein Grundkriterium des Menschen ist. Ein Leben, welches das Wort human verdient, ist sozusagen unmittelbar an den Besitz der geistigen Kräfte gekoppelt. Eine gefährliche Annahme, wenn man sie konsequent zu Ende denkt. Inge Jens ist sich sicher, dass ihr Mann nie so leben wollte, wie er jetzt lebt. Am Beispiel ihres Mannes hat jedoch sie erkannt, dass der Verlust der geistigen Kräfte allein noch nicht bedeutet, dass ein Leben nicht mehr menschlich, nicht mehr human ist. Sie weiß, dass ihr Mann sich nicht auflehnen würde, wenn sie ihn in ein Heim geben müsste. Doch würde sie schon gerne wissen, was er wirklich denkt:
„Er realisiert... da stocke ich. Ich weiß gar nicht, inwieweit er seinen jetzigen Zustand noch realisiert. Ich würde viel darum geben, dass er mir nur einmal für einen Sekundenbruchteil sagen könnte, wie er fühlt, was er denkt - wenn er denkt. Aber ungeachtet dessen bin ich ein großer Anhänger der Patientenverfügung und froh darüber, dass die Ärzte heute gehalten sind, den Willen des Patienten oder der Vertrauensperson zu respektieren. - Die Heime trifft keine Schuld, eher noch die Gesellschaft. Man gibt einen Menschen ins Heim, findet tröstende Worte für ihn, sagt, man hole ihn bald zurück, und weiß doch: Er kommt nie wieder. Und insgeheim wünschen wir sogar, dass er bald erlöst sein möge.“
philosoph007 - 9. Aug, 18:40
Genie und Wahnsinn
Wer viele Fachkenntnisse besitzt, egal in welcher Wissenschaft oder Kunst, muss als Intellektueller oder Künstler nicht zwangsläufig auch sehr moralisch sein. Ein Salvador Dali mag ein sehr guter Künstler gewesen sein, aber menschlich war er ein Wrack, eine gestörte Persönlichkeit. Bei Walter Jens war es wohl eher die jugendliche Naivität und persönliche Unausgereiftheit. Seine Angst vor öffentlicher Demütigung, hat ihn wohl davor gewahrt, öffentlich aufrichtig zu bekennen und einzugestehen, einen Fehler gemacht zu haben. So ist es mit der Wahrheit. In dieser Beziehung mag Kant mit seiner rigorosen Forderung, immer bei der Wahrheit zu bleiben, recht gehabt haben. Walter Jens blieb Zeit seines Lebens der Öffentlichkeit, der eigenen Familie und sich selber schuldig, für seinen Fehltritt einzustehen. „Ich war kein Widerstandskämpfer, ich war in der Hitler-Jugend, ich war 19." Da spricht eindeutig zu wenig Reue aus solchen Worten. Die Leute interessiert nicht vordergründig, ob er damals im Alter von 19 Jahren aus innerster Überzeugung in die NSDAP eingetreten ist, oder ob es eher ein Mitläuferübergang von der HJ zur NSDAP war. Wer aufrichtig zu dem stehen kann, was er falsch gemacht hat, kann darauf hoffen, dass einem verziehen wird. Denn auch wenn es stimmt, dass Jens in einer Versammlung der Hitler-Jugend ein Wisch unterschrieben hat, dass ihn zum Mitglied der NSDAP gemacht hat, steht es außer Zweifel, was für eine politische Gesinnung er damals gehabt hat. Er war bestimmt kein extremer Faschist, genauso wenig wie ein verlässlicher Antifaschist. Für den Gang nach Canossa war Walter Jens leider weder fähig noch willig. Seine Frau konnte ihm in dieser Beziehung überhaupt nicht helfen, da sie auch vorbelastet war. Die Frau von Walter Jens, Inge Jens, war in ihrer Jugend beim Bund Deutscher Mädel. Und später als Jugendliche BDM-Führerin. Als Kind hätte sie Hitler aus nächster Nähe erlebt, und sich auch kurz mit ihm unterhalten, worauf sie damals sehr stolz war. Die Beweggründe ihres Vaters, der SS beizutreten, versucht sie erst gar nicht richtig zu verstehen, weil sie das für eine sehr intime Gelegenheit hält.
philosoph007 - 9. Aug, 18:40
Das Geheimnis der NSDAP-Karteikarten
Die Karteikarte mit der Ordnungsnummer 9265911 dokumentiert den NSDAP-Eintritt von Walter Jens im Sommer 1942. Aber genau nachprüfen kann man das leider nicht mehr. Die amerikanische Besatzungsmacht soll den Bestand der NSDAP-Zentralkartei gründlich verändert haben. Statt der ursprünglichen chronologischen Reihenfolge der neun Millionen Karteikarten nach den laufenden Mitgliedsnummern, die ohne weiteres Rückschlüsse auf die Aufnahme ganzer Gruppen zuließ, soll die Kartei im Sommer 1945 alphabetisch umsortiert worden sein. Natürlich ist es sehr wahrscheinlich, dass diese sehr brisanten Informationen von den Amerikanern gesammelt und ausgewertet wurden. Im Keller des Bundesarchivs in Berlin-Lichterfelde lagen die Namen aller NSDAP-Mitgliedern unter Verschluss. Erst nach der Wende wurde das Geheimnis der neun oder elf Millionen Karteikarten, die sich im Besitz der amerikanischen Alliierten befanden, gelüftet. Nach dem Krieg machten es die Jungen wie die Alten: Sie schwiegen. Doch Mitte der Neunziger, als die Namen publik wurden, ging das nicht mehr. Die Öffentlichkeit wollte wissen, warum solche Berühmtheiten wie Siegfried Lenz, Dieter Hildebrandt, Hermann Lübbe oder Erhard Eppler NSDAP-Mitgliedern waren. Der achtzigjährige Verleger Alfred Neven DuMont hat diesem Wunsch Rechnung getragen und 26 berühmte Zeitzeugen der Jahrgänge 1926/27 dazu ermuntert, ihre persönlichen Erinnerungen an die Nazi-Zeit aufzuschreiben. (Erinnerungen an die Jahre unter dem Hakenkreuz“. hrsg. von Alfred Neven DuMont, DuMont Buchverlag). Tilman Jens, der Sohn von Walter Jens, äußert sich verärgert in der FAZ (04.03.2008) über die fehlende Authentizität der Zeitzeugen:
"Welch eine Chance. Doch wie enttäuschend und wie signifikant sind zumeist die Texte der Beteiligten. Dieter Hildebrandt - ein Erinnerungskünstler, er hat es in seiner Rückschau „Was bleibt mir übrig?“ bewiesen - ergeht sich in launischen Kameradschaftsberichten aus dem schlesischen Schützengraben. Der berlinernde Feldwebel heißt Weißderteufel, der Oberstleutnant Weißichnichtmehr. Das ist Programm. Das große Vergessen. Der begnadete Spötter nimmt sich nicht in die Mangel. Er sagt nicht, wie das denn war mit der Partei. Er geht nicht einmal in die Offensive, sondern zieht eine Nummer ab, die weit, weit hinter seinen Möglichkeiten bleibt. Es ist zum Heulen." Walters Sohn wirft seinem eigenen Vater vor, nicht die Courage besessen zu haben, mit seiner eigenen Familie die eigene braune Vergangenheit als Mitglied im nationalsozialistischen Studentenbund und in der NSDAP aufzuarbeiten.
philosoph007 - 9. Aug, 18:31
In der Süddeutschen ist heute folgender Artikel zu finden:
"Eine Posse, keine Affäre -
In den Augen Steinmeiers war die Affäre Schmidt nie eine Affäre. Der SPD-Kanzlerkandidat holt die Gesundheitsministerin nun doch in sein Team - und er hat recht damit. Ein Kommentar von Thorsten Denkler, Berlin mehr ..."
In der Zeit kan man den folgenden Artikel lesen:
"Dienstwagen-Debatte -
Ein Skandal, der keiner ist.
Gierig stürzen sich Deutschlands Medien auf Ulla Schmidt und ihre vermeintliche Dienstwagen-Affäre. Das ist wohlfeil. Ein Kommentar"
Grossen Dank an Süddeutsche und Zeit.
philosoph007 - 9. Aug, 12:11